An meine Nichten und Neffen: Warum heiraten?

Liebe Nichten und Neffen!

Es ist nicht so üblich, dass wir einander Briefe schreiben. Noch dazu in der Zeit der WhatsApp-Gruppen. Dennoch will ich es versuchen, weil es einen guten Anlass dazu gibt: Dieses Jahr haben die ersten von Euch geheiratet: Magdalena, Katharina und Franziska. Das erste Baby ist da, und somit bin ich mit euren Eltern Großtante und Großonkel! Herzlichen Glückwunsch!

Der Reigen der Hochzeiten hat – Gott sei Dank – begonnen und das führt zu einer Frage, mit der ich beruflich und familiär sehr beschäftigt bin: Warum soll ich – also nicht ich, sondern Du – kirchlich heiraten? Wann soll ich kirchlich heiraten? Wieso? Wie? Wo?

Es ist auch eine Frage nach unserem Glauben und wie wir ihn in Zukunft praktizieren können, sollen, wollen. Als Getaufte sind wir Glied der Kirche, die so wunderbar weltweit da ist. Wir sind ein Körper, der wirklich die Welt verändert hat, aber der es uns auch manchmal schwer macht, dran zu bleiben. Das eine oder andere Glied ist schwach, verknöchert oder hat schon Cellulitis.

Lasst mich beginnen mit einer Erinnerung: Ich war wohl sieben oder acht Jahre. Unser Vater hat uns nach Remmelberg zum Opa mitgenommen und da sind wir dann zum Zirlwirt, zum Schafkopf-Spielen gefahren. Es hat um 21 Uhr, Sommer war‘s, die Kirchenglocke den „Angelus“ geläutet. Die Bauern haben die Karten niedergelegt, den Hut abgenommen und jeder still für sich gebetet. Das hat mich bis heute beeindruckt. Respekt, denke ich heute noch. Das war den Bauern nicht peinlich, nicht lästig, es ist ein Teil ihrer Persönlichkeit.

Seither sind fast 50 Jahre vergangen. In dieser Zeit seid Ihr gekommen und ich will Euch wirklich sagen, wie unglaublich froh, ermutigt und stolz ich auf Euch alle bin. So ein großer Clan, solche Familienbande sind ein reines Geschenk. Das kannste nicht organisieren und auch nicht erzeugen. Wenn wir das weiter pflegen, wird der Segen sicherlich noch mehr wachsen.

Also, wann beginnt die Ehe? In dem Moment, wo Deine Partnerin, Dein Partner zu dir sagt: Ja, mit Dir will ich durchs Leben gehen. Ich bin bereit, eins zu werden. Körperlich. Psychisch. Wohnmäßig. Seelisch. Das ist dann der Bund. Das Eheband. Meist ein lebensrettendes Tau, manchmal ein Kettchen, hoffentlich nie eine Gefängniskette.

Was in der Kirche geschieht, das Sakrament, ist das öffentliche, verbindliche Gelöbnis und es ist das gemeinsame Gebet: „Vor Gottes Angesicht …“. Diese Bitte um den Segen Gottes ist die Schweißnaht. Die Ehe ist darum das einzige Sakrament, das nicht vom Priester gespendet wird, sondern die Brautleute einander selber spenden, durch dieses miteinander Knien vor Gott, im laut Sagen des Versprechens: „ich nehme Dich an als meine Frau, als meinen Mann und will Dich lieben, achten und ehren solange wir leben.“

Erlaubst Du mir noch ein paar Anmerkungen?

Wann soll die Feier sein? Viele halten Ausschau nach einem günstigen Zeitpunkt, oder wenn die Lokalität frei ist, oder die Wohnung eingerichtet ist, oder genügend Geld gespart ist oder, oder, oder. Ich selber würde Dir raten: Wann Du Dir über den Partner, die Partnerin sicher bist, dann erbitte diesen Segen, dieses Sakrament Gottes! Warte nicht zu lange. Anlässe für Feiern wird es immer geben. Darum muss nicht alles perfekt sein. Lass Dir nicht die Illusion von einer Traumhochzeit einreden; du wirst in Stress sein, weil du möchtest, dass dieses Bild genau so und nicht anders zustande kommt. Es soll eine Feier sein. Wunderschön! Aber sie soll zu Dir passen und nicht wie im Fernsehen vorgespielt. Viele Gäste, die Freundschaft, die Fröhlichkeit, das Gebet. Das alles ist wichtiger als das durchgestylte „Give away“.

Zwei Fragen will ich Dir mitgeben: a) Wie reife ich im Lieben? b) Wie kann ich verstehen, was Gott mit meinem Leben vorhat? Die erste Frage bezieht sich auf die permanente Notwendigkeit, sich im Liebens-würdig-sein zu üben. Die Kommunikation zu verbessern ist ein lebenslanges Training. Es lohnt sich, ab und zu ein Seminar dazu zu besuchen oder auf YouTube Loriot („ich will einfach nur hier sitzen“) anzusehen. Wir alle stammen auch von Bauern ab und wissen, dass starke Bäume langsam wachsen; dass gute Kirschbäume veredelt sind; dass schöne Möbel lange halten, wenn sie gut gepflegt werden.

Die zweite Frage bezieht sich auf den christlichen Glauben. In ganz frühen Zeiten glaubten die Menschen aus Furcht. Die Naturgewalten, die Krankheiten, der Kindstod. Viele Opfer wurden gebracht, weil man meinte, dadurch die Gottheit versöhnlich stimmen zu können. Mit Christus kam der Glauben an die besondere Liebe, die alles überwinden kann; die aber das Tun fordert und eine Gemeinschaft bilden will. Die Kirche als Gemeinschaft der Getauften hat die Welt verändert, aber sie hat nicht immer die Freiheit gegeben. Manchmal gehörten die Menschen dazu, weil sie sich Vorteile erhofften; manchmal, weil es bequemer war. Oft aber, weil die Botschaft Jesu wirklich faszinierend, rettend ist. Denken wir an eine Hl. Elisabeth oder den Hl. Franziskus, an den Hl. Don Bosco oder eine Mutter Teresa.

Heutzutage sind wir in einer völlig neuen Situation, in der die Menschheit in ihrer Geschichte noch nie war. Der moderne Mensch ist frei von jeder Art von Bevormundung. Es gibt keine Gesellschaft, die dir etwas vorschreibt. Scheinbar. Denn die moderne Gesellschaft lebt im weltweiten Netz. Wir blicken hunderte Male am Tag auf unser Handy und werden beeinflusst von Nachrichten, Werbungen, Trends, Kurzvideos, Ideen. Ohne zu ahnen, werden wir gesteuert und sind darum nicht frei. Die moderne Zeit bietet dir 100 Argumente dies zu tun oder jenes zu lassen. Du musst nicht mehr an Gott glauben, brauchst nicht zur Kirche gehen. Es gibt keinen Zwang mehr.

Die größte Freiheit besteht darum, Dich innerlich für etwas zu entscheiden. Etwas durchzuhalten, auch wenn es einen leichteren Weg gäbe. Deine Freiheit, etwas zu glauben, macht Dich aufmerksam auf die Spuren Gottes in der Welt. Zuallererst in Dir. Dann im Wunder des Lebens; am meisten zu bestaunen bei der Geburt eines Kindes. Die gesamte Schöpfung, und schlussendlich die vielen Fügungen, durch die uns Gott Entwicklungsmöglichkeiten vorlegt.

Ob wir sie ergreifen, liegt an uns. Natürlich müssen wir an uns arbeiten und arbeiten lassen. Darum ist der sonntägliche Kirchgang ein Eingeständnis, dass die Menschen, Du und ich, so unvollkommen sind. Meistens bemerkt man das an den Priestern, wenn sie wieder einmal unmöglich predigen, oder – na ja, Du weißt schon, was ich meine. Das ist halt auch eine Schule, das Schwierige ins Leben zu integrieren. Wie? Das sagt uns – so meine ich – die Bibel, das Wort Gottes. Es ist die Grundlage für das christliche Leben. Darum lege ich Dir ein Wort von Papst Franziskus bei. Gönn dir die Zeit, das in Ruhe durchzulesen.

Danke für Deine Geduld und in der Freude auf ein baldiges Treffen,
Euer Onkel Martin

P.S. für Außenstehende: Meine fünf Geschwister haben mir 19 (neunzehn) liebevolle Nichten und Neffen geschenkt.