4. Fastenimpuls – Übungsweg der Freude
Am 4. Fastensonntag steht das Evangelium vom „Barmherzigen Vater“ im Mittelpunkt (Lk 15,11-32). Diese Woche wollen wir in den Blick nehmen, wie wir innerlich frei werden und neu zu einer tiefen Freude finden, wenn wir unseren Ärger über erlebtes Unrecht loslassen und vergeben können. Dazu möchte ich meinen Impuls aus der Fastenzeit 2023 zum Thema Vergebung nochmal aufgreifen.
Oft kehrt man eigene Wut, Zorn, Ärger lieber unter den Teppich als sich ihnen zu stellen. Über Jahrzehnte decken wir wegen der unangenehmen Gefühle Konflikte zu, anstatt sich ihnen zu stellen, unsere Wunden freizulegen und damit heilen zu lassen. Aber spätestens am Ende des Lebens drängen sie an die Oberfläche und wollen zugelassen werden. Besser ist es, wenn wir uns diesen Gefühlen schon früher stellen.
Vergeben und vergessen?
Martin Luther King Jr. sagte: „Vergebung ist keine einmalige Sache, Vergebung ist ein Lebensstil.“ Vergebung meint nicht vergessen, es heißt auch nicht etwas gutzuheißen, das mir angetan wurde. Im Gegenteil: Damit ich vergeben kann, muss ich den Schmerz zuerst zulassen und anschauen, vielleicht auch ansprechen. Dann erst kann Heilung geschehen.
Was Vergebung mit heißen Kohlen zu tun hat
Vergebung heilt uns, weil sie uns ermöglicht, alten Schmerz abzulegen und sie hilft uns, uns für die Liebe zu öffnen. Es dient nicht unserem Wohl, wenn wir an unserem Schmerz festhalten. Wenn ich nachtragend bin, dann schleppe ich ja die schwere Last und trage sie dem anderen nach. Oder in einem anderen Bild gesprochen: Sich gegen die Vergebung zu sträuben, ist, als würde man sich ein Stück heiße Kohle nehmen und zu ihr sagen: „Ich lasse dich nicht los, bis du dich entschuldigst und für das bezahlst, was du mir angetan hast!“
Von Selbstvergebung und Selbstakzeptanz
Während wir andere strafen wollen, verbrennen wir uns selbst. Somit ist alle Vergebung Selbstvergebung. Es ist eine bemerkenswerte Form der Selbstakzeptanz, die uns ermöglicht, Schmerz loszulassen; um im Bild zu bleiben: die heiße Kohle unserer Wut, unserer Enttäuschung loszulassen oder den schweren Stein, den wir anderen nachtragen.
Der Groll ist hartnäckig
Was hier in ein paar Sätzen abgehandelt wird, kann oft Jahrzehnte dauern. Wenn Jesus uns auffordert, siebzigmal siebenmal zu vergeben, dann zeigt das seinen Realismus: Ein einmaliger Akt der Vergebung wird nicht reichen. Der Groll kommt immer wieder hoch, aber je öfter wir ihn wahrnehmen, zulassen, und dann auch wieder bewusst loslassen und dem Menschen, der uns verletzt hat, innerlich Vergebung zusprechen, desto besser können unsere Wunden heilen. Dann erst werden wir frei. Warten wir damit nicht bis zum Sterbebett!
Erzbischof Desmond Tutu stellte als Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika einen vierfachen Weg der Vergebung vor, der auch für uns zur Übung werden kann:
Vierte Übung
- Erzählen Sie Ihre Geschichte erlebten Unrechts oder schreiben Sie auf, was Ihnen passiert ist, aber mit einer gewissen Distanz. Sehen Sie sich selbst als „entferntes Ich“. Dadurch integrieren Sie die Erinnerungen in Ihr Bewusstsein und entschärfen ein Stück weit Ihre emotionalen Reaktionen.
- Benennen Sie die Gefühle und den Schmerz, den Ihr „entferntes Ich“ erlebt und versuchen Sie sie zu verstehen.
- Wenn Sie den Schmerz nicht mehr länger herumtragen wollen, entscheiden Sie sich zur Vergebung. Die Fähigkeit zu vergeben beruht auf der Erkenntnis, dass wir alle Menschen sind und es unvermeidlich ist, dass wir einander verletzen und verletzt werden. Kann ich mein vermeintliches Recht auf Rache aufgeben? Dann kann ich Heilung statt Vergeltung anstreben.
- Möchte ich die Beziehung zu der Person, der ich vergeben habe, erneuern oder loslassen? Beides sind legitime Schritte, wenn wir sie ohne Groll gehen.
Machen Sie sich keine Vorwürfe, wenn Sie noch nicht vergeben können. Gott sieht unseren guten Willen. Darüber dürfen wir uns freuen.